Die Mauer spaltete nicht nur Machtblöcke, sie trennte Menschen voneinander, schnitt mitten durch Familien. Davon erzählt dieses Heft: Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls erinnern wir an die vier Jahrzehnte, in denen Deutschland geschieden war, zerrissen durch den Riegel um West-Berlin und den fast 1400 Kilometer langen Todesstreifen von der Ostsee bis zur Tschechoslowakei. Wir erzählen vom Ausbau und vom Ende dieser Grenze, von der Politik und der Propaganda – und von den Menschen, die mit ihr lebten, sie erduldeten, bewachten oder zu überwinden versuchten. Von Deutschen, die alles riskierten, nur um von Deutschland nach Deutschland zu gelangen.
Die Weltgeschichte kennt viele Grenzmauern: Man denke an den Limes der Römer, die mittelalterlichen Stadtbefestigungen, die Chinesische Mauer – oder an Trumps Obsession an der Grenze zu Mexiko. Stets ging und geht es darum, unerwünschte Eindringlinge abzuwehren. Ziemlich einmalig ist der Versuch der DDR, die eigene Bevölkerung einzumauern. Der »antifaschistische Schutzwall« war ein monströses Bollwerk gegen die eigenen Bürger, die in Scharen davonliefen.
Auf lange Sicht war der Lockruf der Freiheit stärker als Beton und Stacheldraht; der Realsozialismus hielt dem Druck der Massen nicht stand. Doch auch die Wiedervereinigung hat die Abwanderung nur gebremst, nicht gestoppt: Noch immer blutet Ostdeutschland aus. Und noch immer zerteilt die alte Grenze das Land. So paradox es klingt, aber gerade beim Zusammenwachsen haben sich Ost und West entzweit. Die Narben der Teilung waren noch frisch, da wurden neue Wunden gerissen: Der Kahlschlag im Osten säte Hass und Wut – auf den Westen, der wie besoffen war von sich selbst, vom Siegeszug seiner Marktwirtschaft. Die bittere Pointe der Wiedervereinigung ist, dass sie einheitsstiftend wirkte – für Ost und für West, weniger für das ganze Land.
Heute wird der Ruf laut, neue Bollwerke zu errichten, um das »Abendland« zu schützen. So gesehen war die Öffnung des Eisernen Vorhangs nur Episode: Europa ist wieder Grenzland. Mauern lassen sich durchbrechen, Zäune niederreißen. Unverwüstlich aber scheint ihr Fundament, die Ausgrenzung in den Köpfen.
Themen im Heft:
- Sofort, unverzüglich: Wie zwei denkwürdige Pressekonferenzen Bau und Fall der Mauer einläuten
- »Eiserner Vorhang«: Ein Begriff der NS-Propaganda
- Unter Beobachtung: In der »Sperrzone« und im »Zonenrandgebiet« bestimmt die nahe Grenze den Alltag
- Mit Lok, Seilbahn und Teddybär – die abenteuerlichsten Fluchtgeschichten
- Der Schießbefehl fordert viele Opfer – die Stasi will die Fälle vertuschen
- Ronald Reagan und Erich Honecker halten 1987 bemerkenswerte Mauerreden
- West-Rock in der DDR: Als Springsteen, Cocker und Dylan kamen
- Wer die Wut im Osten verstehen will, muss weiter als 30 Jahre zurückschauen
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